In der Präambel der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft steht weit oben der Appell an den Willen der BürgerInnen und der Kantone, «in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben». Was hier als Auftrag und hehres Versprechen daherkommt, ist ein ebenso faszinierendes wie schwieriges Unterfangen: Vielfalt kann eine Ressource sein und enthält das Versprechen eines demokratischen Zusammenlebens, in dem Jede und Jeder einen Platz und eine Stimme hat. Aber wie weit kann sie gehen, bis sie in eine wertfreie Beliebigkeit umschlägt, die uns nichts mehr sagt? Die Sorge um Einheit und eine gemeinsame Identität wiederum ist zu wünschen für eine multikulturelle Willensnation, die die Schweiz angeblich sei. Aber birgt die Rede von Identität nicht immer auch die Gefahr einer vorschnellen Ausgrenzung derjenigen, die vermeintlich Selbstverständliches irritieren?
«La Suisse n’existe pas». Aber Schweizerinnen und Schweizer existieren sehr wohl. Wir haben jedenfalls viele davon angetroffen auf unserer Reise durchs Land, einige gar portraitiert. Sie sprachen unterschiedliche Sprachen, hatten unterschiedliche Sorgen und blickten aus unterschiedlichen Perspektiven auf die Gesellschaft. Und sie sorgten dafür, dass wir auf die Frage: «Être Suisse: Qu’est-ce que c’est?» jetzt mehr reflektierte Rückfragen haben als klare Antworten. Zwischen dem Doppeladler, der auf unserer Collage zum Beginn der Sommerakademie flatterte und Niklaus von Flüe, dessen Spuren wir am Ende entdeckten, dehnt sich das «Univers Suisse» – oder vielleicht besser das «Univers des Suisses» – aus. Bruder Klaus und Bruder Xherdan sind sich nie begegnet, doch es würde uns interessieren, auf welche Schweiz sich die beiden Volkshelden geeinigt hätten. Stattdessen verbleiben wir mit einem Potpourri aus theoretischen Einsichten und Eindrücken von inspirierenden Persönlichkeiten, die mit uns das Interesse an der Vielfalt unseres Landes teilen – und das Anliegen, diese «Vielfalt in der Einheit zu leben».
Das folgende, in gemeinsamer Arbeit entstandene Dossier soll – durchaus in eklektischer Weise – den einen oder anderen Anknüpfungspunkt an unsere lebhaften Diskussionen bereitstellen und eine Einladung darstellen, das «Univers Suisse» weiter zu denken und zu pflegen.
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