Welche Ziele kommen dir in den Sinn, wenn man dich fragt: «Was möchtest du in deinem Leben noch erreichen?» Einige träumen vom Eigenheim, andere davon, sich beruflich selbständig zu machen, und wiederum andere wollen die Welt bereisen. Die Antworten werden wohl so verschieden ausfallen, wie die Menschen dahinter. Doch nicht selten dürfte sie lauten: «Eine Familie gründen.»
Für viele sind eigene Kinder das grosse Lebensziel. Umso härter trifft es Wunscheltern, wenn es nicht klappen will. Möchte man das Familienglück dennoch nicht aufgeben, gibt es viele Möglichkeiten. Neben legalen Reproduktionstechnologien wie der Samenübertragung oder der In-vitro-Fertilisation ist eine davon die Leihmutterschaft.
In vielen europäischen Ländern ist Leihmutterschaft jedoch verboten [3]. Allerdings werden Paare in Ländern wie der Schweiz oder Deutschland, die eine Leihmutterschaft in Auftrag geben, oder Leihmütter, die Kinder für andere austragen, nicht bestraft. Strafbar ist bloss die Durchführung und Vermittlung einer Leihmutterschaft. Einige Eltern mit unerfülltem Kinderwunsch weichen deshalb auf Orte im Ausland aus, in denen die Leihmutterschaft erlaubt ist [2]. Die langen Wege, die Paare dann auf sich nehmen, um endlich Eltern werden zu können, werden oftmals etwas abschätzig als „reproductive tourism“ (deutsch: Fortpflanzungstourismus) bezeichnet [2].
Dr. Anika König, Ethnologin an der Universität Luzern (mittlerweile Freie Universität Berlin), beschäftigt sich im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte intensiv mit den unterschiedlichen Facetten der Leihmutterschaft. Dabei fokussiert sie vor allem auf die Ukraine und bestimmte Staaten der USA [3]. Diese verfügen nicht nur über die gewünschte Rechtsprechung, sondern auch über Leihmutter-Agenturen, über Kliniken, die entsprechende Behandlungen anbieten, und nicht zuletzt: potenzielle Leihmütter. Diese Orte haben sich zu regelrechten Schwerpunktregionen für Leihmutterschaft entwickelt, zu «reproductive hubs» (deutsch: Reproduktionsknotenpunkte), wie sie Anika König nennt [3]. Wunscheltern etwa aus Deutschland, der Schweiz oder China reisen zu diesen Hubs, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Leihmutterschaft ist somit längst zu einem transnationalen Phänomen geworden.
Deshalb passt Anika Königs Vortrag, in dem sie ins Thema Leihmutterschaft einführt, hervorragend zur Sommerakademie der Schweizerischen Studienstiftung mit dem Titel „Sklaven, Gold & Starbucks – Lokale Lebensweisen und globale Verflechtungen“.
Wer beauftragt eine Leihmutterschaft − und warum?
Die Gründe, warum ein Kind nicht auf dem „normalen“ Weg entstehen kann, sind vielfältig [3]. In ihrem Vortrag nennt König z.B. Erkrankungen oder medizinische Komplikationen und Risiken, fehlende Möglichkeit der Adoption (z.B. für gleichgeschlechtliche Paare oder Personen mit einer überstandenen Krebserkrankung), zahlreiche fehlgeschlagene Behandlungen usw.
Anika Königs Forschung ermöglicht einen sehr persönlichen Blick auf betroffene Paare und zeigt, wie belastend ein unerfüllter Kinderwunsch für Wunscheltern sein kann. Sie fällen den Entscheid für eine Leihmutterschaft nicht leichtfertig, sondern er ist in vielen Fällen der letzte Ausweg. Wählt ein Paar die Leihmutterschaft als Methode zum Elternglück, wartet oft ein langer Weg gepflastert mit schweren Entscheiden und einer grossen psychischen Belastung [2].
Dass sie für die Inanspruchnahme einer Leihmutter nicht bestraft werden, schützt die zukünftigen Eltern zum Beispiel nicht davor, mit ihrem illegalen Handeln zu hadern [2]. Viele scheuen sich davor, die Behörden anzulügen. Hinzu kommt vielfach Ungewissheit: Was passiert mit dem Kind, sollten die Behörden von der Leihmutterschaft erfahren? Berichte aus Italien, in denen Kinder gewaltsam aus ihren neuen Familien gerissen wurden, schüren diese Ängste der Wunscheltern [2].
Neben diesen Sorgen spielen auch viele soziale Fragen eine grosse Rolle: Wem und wie erzählt man von der Leihmutterschaft? Wie geht das Umfeld damit um? Soll gar eine Schwangerschaft vorgetäuscht, die Leihmutterschaft verschwiegen werden? [2]
Bürokratische Hürden
Die Herausforderungen und Fragen hören nach der geglückten Geburt des Kindes nicht auf, betont Anika König in ihrem Vortrag. Eine davon ist bspw. die Anerkennung der Eltern- sowie der Staatsbürgerschaft [2]. Bei einer Leihmutterschaft in den USA wird das Baby mit seiner Geburt automatisch amerikanische*r Staatsbürger*in. Die Einreise in die Schweiz oder nach Deutschland ist mit dem amerikanischen Pass kein Problem. Mit einem Dokument (genannt pre-birth order) können die Paare im Voraus gerichtlich als Eltern festgestellt werden. Durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 2014 ist es in Deutschland einfacher geworden, sich als Eltern in den USA geborener Kinder anerkennen zu lassen. In der Schweiz fehlt ein solches Urteil, weshalb durch Leihmutterschaft gezeugte Kinder oftmals von der Mutter adoptiert werden müssen [3].
Mit anderen Ländern ist es oftmals noch komplizierter. Die Ukraine beispielsweise anerkennt Kinder aus Leihmutterschaft als Bürger des Landes, aus dem die beauftragenden Paare stammen. In Deutschland ist jedoch die Leihmutter entscheidend. Die Frau, die das Kind zur Welt gebracht hat, ist hier die Mutter; ihre Nationalität bestimmt auch die des Babys. Ist sie dazu noch verheiratet, wird der Mann automatisch zum Vater. Das kann zu skurrilen Situationen und eltern- oder gar staatenlosen Kindern führen. Anika König berichtet in ihrem Vortrag von Wunscheltern, die über Monate in einem Land festsitzen und darauf warten, ihren Nachwuchs endlich nach Hause holen zu können.
Wer wird zur Leihmutter − und warum?
Anika Königs Forschung beschäftigt sich jedoch nicht nur mit den Wunscheltern, sondern betrachtet das Thema auch aus dem Blickwinkel der Leihmütter. Für viele Menschen ist es wohl nur schwer vorstellbar, ein Kind nach der Geburt wegzugeben. Die Vorstellung von einer fast magisch anmutenden Mutter-Kind-Verbindung ist weit verbreitet [2]. Hinzu kommen gesundheitliche Risiken für Leihmütter, die mit blossen Schutzvorschriften nicht aufgehoben würden [1]. Ausserdem befürchten viele eine Ausbeutung der Leihmütter: Auch wenn Frauen vordergründig behaupten würden, sie seien freiwillig zu Leihmüttern geworden, seien finanzielle Schwierigkeiten der wahre Grund [1].
Die interviewten Wunscheltern und Leihmütter in Anika Königs Untersuchung versicherten jedoch, dass sich die Leihmütter klar entschieden hätten, dass sie dieses oder überhaupt ein weiteres Kind nicht möchten. Vielmehr sähen sie sich als Nanny, die sich eine Weile um das Kind kümmert, bevor sie es wieder weggeben muss [2].
Anika König hat in ihrer Forschung jedoch starke Unterschiede zwischen verschiedenen Hubs beobachtet, wie sie in ihrem Vortrag berichtet. In den USA wird eine Leihmutterschaft oft als Geschenk, als selbstloser Akt der Leihmutter stilisiert. Werden nur Spesen und Aufwendungen vergütet, spricht man gar von einer altruistischen Leihmutterschaft. Aber auch wenn eine reguläre Bezahlung erfolgt, wird betont, dass diese sich auf das Austragen des Kindes bezieht – nicht auf das Kind selbst. wird dieses Argument gegen den Vorwurf des «Baby-Handels», der die Würde eines Kindes verletze, ins Feld geführt.
Das Verhältnis von Wunscheltern und Leihmutter ist ebenfalls stark ortsabhängig. In Niedrigpreis-Ländern wie der Ukraine, in denen eine Leihmutterschaft ca. 30‘000 EURO kostet, bleiben die beiden Parteien in vielen Fällen (zumindest anfänglich) anonym. In Bundesstaaten wie Kalifornien, in denen eine Leihmutterschaft bis zu fünf Mal so viel kostet, pflegen Paare und Leihmütter hingegen oft einen regen Kontakt – sowohl vor als auch nach der Geburt des Kindes. Zudem geht einer Leihmutterschaft hier ein umfangreicher «Matching-Prozess» voraus, d.h. es besteht für beide Seiten die Möglichkeit, nach dem Kennenlernen die geplante Leihmutterschaft abzulehnen. Die Paare in Anika Königs Untersuchung tauschten sich intensiv mit ihren Leihmüttern aus und waren besorgt um deren Wohlergehen. Kleine Geschenke, E-Mails und Fotos werden ausgetauscht, manche besuchen sich sogar regelmässig [2] [3].
Längst überfällige Legalisierung?
Obwohl in der Schweiz als auch in Deutschland Stimmen lauter werden, die sich für eine Legalisierung einsetzen, wird Leihmutterschaft von der Öffentlichkeit nach wie vor eher abgelehnt. König bündelt diese Ablehnung in die folgenden Punkte: Die bereits erwähnten Argumente (1) Angst vor Ausbeutung der Leihmütter sowie (2) die Kritik an jeglicher Verbindung von Kindern mit Geld, (3) die Furcht vor „Designer-Babys“, verbunden mit dem Vorwurf „Gott spielen“ zu wollen und (4) die Ablehnung der Leihmutterschaft als „unnatürlicher Eingriff“, der zu Identitätskonflikten beim Kind führe [2].
Anika König kann diese Skepsis verstehen. Trotzdem ist für sie die Illegalität der Leihmutterschaft in der Schweiz und in Deutschland keine Lösung: „Die lokalen Verbote, die momentan in Deutschland und der Schweiz bestehen, unterbinden Formen der transnationalen Reproduktion, wie die hier beschriebene, nicht“. Die Ethnologin spricht sich deshalb klar für eine Legalisierung der Leihmutterschaft aus: Mit einer Legalisierung könnten alle Beteiligten besser geschützt werden.
Für eine politisch durchdachte Entscheidung müssen sowohl die Vor- als auch die Nachteile einer Legalisierung öffentlich diskutiert werden. Die Frage soll nicht mehr nur bleiben, ob eine Leihmutterschaft erlaubt werden soll, sondern auch wie eine solche Legalisierung möglicherweise aussehen könnte. Forschungsarbeit wie die ethnologischen Untersuchungen von Anika König sind dafür unabdingbar. Mit einem sehr persönlichen Blick auf Wunscheltern und Leihmütter durchleuchtet sie den Prozess einer Leihmutterschaft von Beginn an. Das ermöglicht es Aussenstehenden, die vielfältigen Beweggründe der involvierten Parteien besser nachzuvollziehen und deckt wirtschaftliche bzw. juristische Aspekte des transnationalen Unterfangens auf. Mit dieser Grundlage lässt sich das komplexe Thema auf einer anderen Ebene erörtern – weit weg von Promi-News und undifferenzierten Positionen.
Quellen:
[1] Büchi, A. (2013). Leihmutterschaft: Ein Kind um jeden Preis. Beobachter. https://www.beobachter.ch/gesellschaft/leihmutterschaft-ein-kind-um-jeden-preis <13.01.2020>. [2] König, A. (2018). Parents on the Move: German Intended Parents’ Experiences with Transnational Surrogacy. In S. Mitra, S. Schicktanz, & T. Patel (Hrsg.), Cross-Cultural Comparisons on Surrogacy and Egg Donation: Interdisciplinary Perspectives from India, Germany and Israel (S. 277–299). Springer International Publishing. https://doi.org/10.1007/978-3-319-78670-4_13 [3] König, A. (2020). Die Erfahrungen deutscher und schweizerischer Wunscheltern mit Leihmutterschaft in den USA. In K. Beier, C. Brügge, P. Thorn, & C. Wiesemann (Hrsg.), Assistierte Reproduktion mit Hilfe Dritter: Medizin-Ethik-Psychologie-Recht (S. 243–255). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-60298-0_16Vortrag “Transnationale Leihmutterschaft” von Anika König im Rahmen der Sommerakademie “Sklaven, Gold & Starbucks – Lokale Lebensweisen und globale Verflechtungen” der Schweizerischen Studienstiftung am 01.09.2020.
Der vorliegende Beitrag entstand im Rahmen der Sommerakademie «Sklaven, Gold & Starbucks: Lokale Lebensweisen und globale Verflechtungen» der Schweizerischen Studienstiftung und wurde redaktionell begleitet von der wissenschaftlichen Ideenschmiede «Reatch». Der vorliegende Beitrag gibt die persönliche Meinung der Autorin wieder und entspricht nicht zwingend derjenigen von Reatch oder der Schweizerischen Studienstiftung.