Tiefe Preise, ständig neue Kollektionen, schlechte Qualität: Die Fast-Fashion Industrie verursacht horrend hohe soziale und ökologische Kosten, für die weder Hersteller noch Konsument*innen aufkommen. Politische Ansätze wie die Erweiterte Herstellerverantwortung wollen Anreize für mehr Wiederverwendung und Recycling kreieren – aber reicht das für eine nachhaltigere Textilindustrie?
Rund 100’000 Tonnen Kleider werden in der Schweiz jedes Jahr gekauft – pro Person sind das um die 12 Kilogramm. [1] Dieser Konsum ist in den letzten Jahren rasant angestiegen und wird es voraussichtlich auch in den nächsten Jahren tun. [2] Solches Wachstum ist Teil des Phänomens der Fast-Fashion: Modezyklen werden immer kürzer und Kleider schneller ausgetauscht. Doch welche Konsequenzen hat diese steigende Nachfrage für Mensch und Umwelt?
Obwohl in der Umweltdebatte oft Ernährungs- und Transportthemen im Rampenlicht stehen, hat das Thema Kleidung in den letzten Jahren zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen. So werden immer mehr Stimmen laut, welche die ökologischen und sozialen Missstände in der Textilindustrie anprangern. In der Tat ist diese für ungefähr 10% der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich – im Vergleich dazu trägt der internationale Flugverkehr «nur» 2-3% bei. [3] Ausserdem führt die Produktion von Textilien zu Wasserverschmutzung, setzt viele schädliche Chemikalien und Pestizide ein und findet oft unter miserablen Arbeitsbedingungen statt. [4] In diesem Sinne erstaunt es wenig, dass Forderungen nach einer nachhaltigeren, im ökologischen sowie sozialen Sinne, Textilindustrie lauter werden.
Dies ist allerdings kompliziert, denn die vielschichtigen Anforderungen, die wirklich ‘nachhaltige’ Kleidung erfüllen sollte, stehen zum Teil im Gegensatz zueinander. So ist beispielsweise Biobaumwolle vorteilhaft in Punkto Wasserverschmutzung und Pestizidanwendung, jedoch kann sie land- und wasserintensiver als konventionelle Baumwolle sein. [5] Hinzu kommt, dass die Wertschöpfungskette der Industrie über den Globus verteilt ist; oft ist es schwierig, Produktionsprozesse zurückzuverfolgen und dementsprechend kompliziert, allfällige Richtlinien durchzusetzen.
In den letzten Jahren hat das Konzept der Kreislaufwirtschaft an Zuspruch gewonnen. Ihr Lösungsansatz: Materialkreisläufe werden so umgestaltet, dass Materialien intensiver, länger und wiederholt verwendet werden. [6] Somit braucht es insgesamt weniger neue Rohstoffe, womit viele negative Auswirkungen bei der Herstellung von Kleidung reduziert werden können. Eine Form von Kreislaufwirtschaft ist second-hand Mode, die in den letzten Jahren immer mehr an Beliebtheit gewonnen hat. Allerdings hat auch second-hand Konsum seine Grenzen: Die zunehmend geringe Qualität der Kleidung hat zur Folge, dass sie schnell kaputt geht und nicht mehr weitergegeben werden kann. Daher wird auch nach Lösungen im Bereich Recycling gesucht, jedoch sind diese im Moment sehr vereinzelt und teuer. Wie können sie in grösserem Massstab umgesetzt werden?
Ein Vorschlag auf politischer Ebene ist das Prinzip der sogenannten ‘erweiterten Herstellerverantwortung’; auf Englisch ‘Extended Producer Responsibility’ (EPR). Was kompliziert klingt, ist im Grunde leicht zu verstehen: EPR besagt, dass der Hersteller eines Produkts bis zu dessen Entsorgung, Rücknahme oder Wiederverwertung, also bis an das Ende seines Lebensweges die Verantwortung trägt. [7] In der Praxis wird EPR schon in mehreren Bereichen eingesetzt: bei elektronischen Abfällen auf EU-Ebene, Verpackungen in den Niederlanden und Deutschland, oder Pfandsystemen in Ländern wie Schweden und der Schweiz. [8] Indem man die Verantwortung, und die damit einhergehenden Kosten, für die Entsorgung auf den Hersteller überträgt, kreiert man Anreize solche Abfälle zu reduzieren oder die Entsorgungsprozesse effizienter zu gestalten.
Für Textilien verfügt Frankreich als bisher einziges Land über ein EPR-System. Dieses schreibt vor, dass Produzenten die Hälfte ihrer auf den Markt gestellten Menge einsammeln müssen, wovon mindestens 95% wiederverwertet werden soll; entweder durch direkte Wiederverwendung oder Recycling. [9] Dieser Anteil scheint auf den ersten Blick vielleicht nicht sehr hoch, ist im Vergleich zur gegenwärtigen Praxis doch ziemlich ambitioniert. Der Textilriese H&M zum Beispiel hat im Jahr 2017 im Rahmen einer Recyclingkampagne nur 1% der von ihm verkauften Kleider eingesammelt – dagegen sind die 50% des französischen EPR beeindruckend. [10] Auch die schwedische Regierung hat 2020 eine solche Politik beschlossen, die ab 2022 mit noch ambitionierteren Zielen eingeführt werden soll. Bis 2028 sollen 90% aller Textilabfälle eingesammelt und wiederverwertet werden. [11]
Der wichtigste Unterschied zwischen einem EPR-System für Textilien und den bisherigen EPR-Systemen für elektronische Abfälle und Plastikverpackungen ist, dass es bei Letzteren hauptsächlich darum geht, die negativen Folgen einer fehlerhaften Entsorgung zu verhindern. Im Gegensatz dazu geht es in der Textilindustrie darum, die negativen Auswirkungen der Produktion zu verringern, indem man die Materialien am Ende ihrer Lebensdauer wieder in den Kreislauf führt. [8]
Dies soll geschehen, indem man die Hersteller in den Prozess einbezieht. Dadurch wird für sie einerseits der Anreiz kreiert, in die Verbesserung und Verbreitung der Recyclingtechnologien zu investieren, andererseits gibt sie grundsätzlich Anstoss zu Abfallreduzierung und verbesserten Produktionsprozessen. Dies könnte bereits beim Produktdesign ansetzen, was gerade in der Textilindustrie massgebend wäre, da die häufige Verwendung von Mischgewebe das Recycling erschwert oder sogar verhindert. Wenn Produzenten reinere Stoffe verwenden würden, könnten diese einfacher wiederverwertet werden – was mit einem EPR-System wiederum im Interesse der Produzenten liegen würde. [10]
Diese erhofften Rückwirkungen auf die gesamte Industrie haben die Erwartungen für EPR steigen und es als flexibles und trotzdem effizientes Instrument erscheinen lassen. Dennoch ist es kein Wundermittel: Die Anreize, welche durch EPR kreiert werden, reichen allein weder dazu aus Produzenten dazu bringen, wirklich nachhaltiger zu produzieren. Noch wird der Kostenunterschied Verbraucher*innen dazu veranlassen, ihren Konsum zu reduzieren. Auch wenn es dazu führt, dass mehr Material rezykliert wird, macht dies nur Sinn, wenn dieses Material auch wiederverwendet wird und so Neufasern ersetzt. [11] Dies wiederum würde gerade bei grösseren Herstellern bedeuten, dass die rezyklierten Fasern wieder zurück in die Produktionsländer transportiert werden müssten, wo sie weiterverarbeitet werden. Die damit verbundenen sozialen und umweltlichen Probleme würden durch EPR nicht gelöst.
Auch neue Probleme könnten durch ein EPR-System auftreten. Akteure, die bisher Textilien eingesammelt haben, könnten eine wichtige Einkommensquelle verlieren. In der Schweiz sind das gemeinnützige Organisationen wie TexAid, welche ihre Befürchtungen, von Textilherstellern verdrängt zu werden, bereits zum Ausdruck gebracht haben. [12] In Schweden, wo sich ein ähnliches Problem stellt, versucht man daher, die etablierten Textilsammler in das EPR-System einzubeziehen. [11] Hier muss auch bedacht werden, dass vor allem Kleiderspenden in andere Länder nicht unumstritten sind, und daher lokales Recycling teilweise besser sein könnte. [13]
EPR ist ein Ansatz, der ein umweltfreundlicheres Management von Textilressourcen vorantreiben kann. Es ist allerdings keine Wunderwaffe, die die Textilbranche aus eigener Kraft nachhaltig macht, da diese viel zu komplex ist, als dass ein einziges Instrument alle Probleme lösen könnte. Was auch notwendig ist, sind bewusste Verbraucher*innen, die ihren Konsum überdenken und beträchtlich verringern: Wenig, aber von guter Qualität kaufen. Viele der Kleider in unseren Schränken werden nur selten getragen; dies ist ein Überfluss, den wir uns in der Zukunft weniger leisten dürfen. Was die Auswirkungen unseres Kleiderkonsums betrifft, gilt eines auch nach der Einführung von EPR-Systemen: Am umweltfreundlichsten ist es, nicht nur nachhaltiger, sondern auch weniger zu konsumieren.
Referenzen:
[1] ‘Centrale de vêtements | Caritas Suisse’, CARITAS. https://www.caritas.ch/fr/ce-que-nous-faisons/en-suisse/centrale-de-vetements.html?type= (accessed Sep. 18, 2021). [2] ‘WWF-Rating der Bekleidungs- und Textilindustrie’, WWF Schweiz. https://www.wwf.ch/de/unsere-ziele/wwf-rating-der-bekleidungs-und-textilindustrie (accessed Sep. 18, 2021). [3] ‘The impact of textile production and waste on the environment (infographic)’, European Parliament, Dec. 29, 2020. https://www.europarl.europa.eu/news/en/headlines/society/20201208STO93327/the-impact-of-textile-production-and-waste-on-the-environment-infographic (accessed Sep. 18, 2021). [4] Geneva Environment Network, ‘Environmental Sustainability in the Fashion Industry’, Nov. 19, 2021. https://www.genevaenvironmentnetwork.org/fr/ressources/nouvelles/sustainable-fashion/ (accessed Jan. 02, 2022). [5] Danish Environmental Protection Agency, ‘Life Cycle Assessment of grocery carrier bags’, The Danish Environmental Protection Agency, 2018. [6] Ellen MacArthur Foundation, ‘Towards a Circular Economy: Business Rationale for an Accelerated Transition’, Ellen MacArthur Foundation, Nov. 2015. [Online]. Available: https://ellenmacarthurfoundation.org/towards-a-circular-economy-business-rationale-for-an-accelerated-transition [7] T. Lindhqvist, ‘Extended Producer Responsibility in Cleaner Production: Policy Principle to Promote Environmental Improvements of Product Systems’, IIIEE, Lund University, 2000. [Online]. Available: https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/0959652694900108 [8] M. Elander, N. Tojo, H. Tekie, and M. Hennlock, ‘Impact assessment of policies promoting fiber-to-fiber recycling of textiles’, MISTRA Swedish Foundation for Strategic Environmental Research, 2017:3, 2017. [Online]. Available: http://mistrafuturefashion.com/wp-content/uploads/2017/06/MFF-report-2017-2-Impact-Assessment-of-policies-promoting-fiber-to-fiber-recycling-of-textiles.pdf [9] Y. Aujollet, H. Legrand, M. de Jouvenel, and P. Louviau, ‘Examen de scénarios pour l’avenir de la filière REP de gestion des déchets de textiles, linge de maison et chaussures (TLC)’, Ministère de l’économie et des finances, Rapport CGEDD n° 011990-01, CGE n° 2017/25, 2018. [Online]. Available: https://www.economie.gouv.fr/files/files/directions_services/cge/filiere-REP_0.pdf [10] K. Burton, ‘Reducing textile waste in the apparel industry: Examining EPR as an option’, Clothing Cultures, vol. 5, no. 1, pp. 33–45, Mar. 2018, doi: 10.1386/cc.5.1.33_1. [11] B. Losmann, Y. Augustsson, and T. Lindell, ‘Producentansvar för textil – en del av den cirkulära ekonomin [Erweiterte Herstellerverantwortung für Textilien – Teil der Kreislaufwirtschaft]’, Statens Offentliga Utredningar (SOU) [Staatliche Untersuchungen], 2020:72, 2020. [Online]. Available: https://www.regeringen.se/4ada18/contentassets/b6ad93ca7b9a40518355624c010dea7d/producentansvar-for-textil–en-del-av-den-cirkulara-ekonomin-sou-202072 [12] M. Niedermann, ‘Schweiz – Verdrängungskampf um Altkleider’, Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), May 20, 2013. Accessed: Sep. 19, 2021. [Online]. Available: https://www.srf.ch/news/schweiz/verdraengungskampf-um-altkleider [13] L. Besser, ‘“Dead white man’s clothes”: The dirty secret behind the world’s fashion addiction’, ABC News, Aug. 11, 2021. Accessed: Mar. 17, 2022. [Online]. Available: https://www.abc.net.au/news/2021-08-12/fast-fashion-turning-parts-ghana-into-toxic-landfill/100358702Sonja Leyvraz studiert Environmental Management and Policy am International Institute for Industrial Environmental Economics (IIIEE) in Lund, Schweden.
Der vorliegende Beitrag entstand im Rahmen der Sommerakademie «Nachhaltige Kreislaufwirtschaft» der Schweizerischen Studienstiftung und wurde redaktionell begleitet von Reatch. Der Beitrag gibt die persönliche Meinung der Autorin wieder und entspricht nicht zwingend derjenigen von Reatch oder der Schweizerischen Studienstiftung.