Neutralität und Friedensförderung – ein Thema, das (leider) aktuell wieder hitzig diskutiert wird. Umso bereichernder, dass wir zu diesem Thema ein Seminar in Genf und Wien besuchen durften.
Nach Ankunft in Genf und einer kurzen Kennenlern-Runde starteten wir direkt in den ersten Programmpunkt des Seminars. Divisionär Claude Meier, Höherer Stabsoffizier an den Genfer Zentren für Friedens- und Sicherheitspolitik, nahm uns mit auf eine Führung durch das internationale Genf. Wir erhielten einen ersten Eindruck von der Internationalität und Diversität dieser Schweizer Stadt. Nach einigen interessanten Ausführungen zu Organisationen wie der WTO, des UNHCR oder dem Maison de La Paix begaben wir uns in die Genfer Altstadt. Divisionär Meier liess offensichtlich seine lokalen Beziehungen spielen, weshalb wir die einmalige Gelegenheit erhielten, eine Führung durch alle Türme inklusive des Glockenspiels der Cathédrale Saint-Pierre zu geniessen. Nach einem Apéro in der Turmspitze wurde unser erster Abend gut-schweizerisch durch ein Raclette-Abendessen in den Räumlichkeiten der Genfer Offiziersgesellschaft abgerundet.
Am darauffolgenden Sonntagmorgen starteten wir direkt in medias res mit unserem Seminarthema der Neutralität in den Räumlichkeiten des Geneva Centre for Security Policy (GCSP). Dr. Franz Cede, ehemaliger Botschafter Österreichs, führte uns in die Thematik des österreichischen Neutralitätsrechts ein, indem er dessen historische Wurzeln erläuterte. So haben wir erfahren, dass Österreich zu Beginn des Kalten Krieges 1955 nur beschränkt «aus freien Stücken» – so der Wortlaut des Neutralitätsgesetzes – seine Neutralität erklärt hat. Vielmehr bestand ein gewisser Druck seitens der Sowjetunion, sich nicht mit dem Westen zu verbünden und stattdessen den neutralen Weg zu wählen. Auf Herrn Cedes Ausführungen folgte ein Vortrag von Prof. André Holenstein der Universität Bern. Mit ihm hatten wir die Gelegenheit, uns genauer mit der Geschichte der Schweizerischen Neutralität auseinanderzusetzen. Prof. Holenstein stiess eine interessante Diskussion an, die uns zum Nachdenken anregte, wie die Schweiz vor dem Hintergrund einer heutzutage geänderten sicherheitspolitischen Bedrohungslage die eigene Neutralität anpassen und/oder differenzierter auslegen muss. Ergänzend zum Neutralitätsrecht befassten wir uns am Nachmittag mit Anna-Lina Müller, Co-Direktorin des Schweizer Think Tanks foraus (Forum Aussenpolitik), mit der Schweizerischen Neutralitätspolitik. Diese ist im Gegensatz zum Neutralitätsrecht ein fluides, flexibles Konstrukt, das sich durch Bundesrat und Politik in einem gewissen Masse freier gestalten lässt. Thematisch schlossen wir diesen Tag mit eigens entwickelten Vorschlägen zur Abschaffung oder Weiterentwicklung der Schweizerischen Neutralität ab. Danach genossen wir die Gemeinschaft am Lac de Léman und tauschten uns über den erlebten Tag aus.
Der Montag stand thematisch ganz im Zeichen der Diplomatie und Friedensförderung. Von Laurent Goetschel, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Basel und Direktor des Friedensforschungsinstituts swisspeace, durften wir mehr zu den Themen Mediation und Gute Dienste, die neutrale Staaten traditionellerweise anbieten, erfahren. Durch die Erklärung von Modellen wie der Konfliktverlaufskurve oder den drei Komponenten der Mediation (Power, Law, Interests of Parties) veranschaulichte uns Prof. Goetschel die Vorgänge, die im Gehirn eines Friedensforschers ablaufen. Als zentrale Erkenntnis habe ich mitgenommen, das Frieden zwar Abwesenheit von Gewalt bedeutet, jedoch keineswegs Gerechtigkeit herstellen muss. Zur Vertiefung dieser Thematik hatten wir nach der Mittagspause die Gelegenheit mit Paul Dziatkowiec, Head of Diplomatic Dialoge am GCSP, unser Wissen im Bereich des Diplomatischen Dialogs und der dabei zu beachtenden Erfolgsfaktoren zu vertiefen. Dabei entstand eine interessante geopolitische Diskussion zum Thema, inwiefern China im Ukrainekrieg eine Vermittlerrolle einnehmen könnte. Herr Dziatkowiec erklärte uns, wie die wirtschaftliche Abhängigkeit von China Russland zur Beilegung des brutalen Angriffskriegs in der Ukraine bewegen könnte.
Der Dienstag war unser letzter Tag in Genf. Den Vormittag verbrachten wir im Museum des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK). Unterteilt in drei Teilbereiche, veranschaulicht die Ausstellung die Bereiche des humanitären Engagements, für die sich das Rote Kreuz weltweit einsetzt. Dies sind die humanitäre Unterstützung nach Umweltkatastrophen, die Rekonstruktion von Familienstammbäumen von Kriegsbetroffenen sowie das Ahnden von Verbrechen gegen die Menschlichkeit (crimes against humanity). Besonders bewegt hat mich eine kleine Sammlung von Briefen, die von Kriegsgeflüchteten an ihre Familien gerichtet waren. Die Geflüchteten hatten in Auffang-Zentren des Roten Kreuzes die Möglichkeit, sich erstmals wieder ihre Liebsten zu wenden. Den letzten Tag in Genf schlossen wir mit einem Besuch bei der Friedensförderungsorganisation Interpeace ab. Zugeschaltet aus Kenia berichtete uns ein Mitarbeiter von Interpeace über seine friedensfördernde Arbeit in Kenia. Am späten Nachmittag traten wir schliesslich unsere Reise via Zürich nach Wien an.
Nach der Reise im Nachtzug erreichten wir am frühen Mittwochmorgen Wien und wurden in den Räumlichkeiten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften von der Österreichischen Studienstiftung herzlich in Empfang genommen. Kurz darauf folgte mein persönlicher Höhepunkt dieser Woche: wir besuchten eine Konferenz des Forum for Security Cooperation der OSCE. Während unseres Besuchs hörten wir Stellungnahmen verschiedener Teilnehmerstaaten der OSCE zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Es war eindrücklich mitzuerleben, wie Politik an vorderster Front betrieben wird und horizonterweiternd zu erfahren, was man als Studierender ansonsten nur aus den Politikwissenschaftsbücher lesen kann. Im Anschluss an den Konferenzbesuch hatten wir die einmalige Gelegenheit, uns mit diplomatischen Vertreterinnen und Vertretern bei der OSCE aus der Schweiz, Österreich, Irland, Malta und Liechtenstein über die OSCE und unser Seminarthema Neutralität im Detail auszutauschen. Nachdem wir uns in den vergangenen Tagen intensiv mit der schweizerischen und österreichischen Neutralität befasst hatten, war es interessant, in die Neutralitätspolitik anderer neutraler Staaten (Irland und Malta) Einblick zu erhalten. Die irische Botschafterin führte dabei auf eindrückliche Weise aus, wie ihr Staat die Differenzierung zwischen Neutralitätsrecht (für Irland bedeutet dies primär militärische Neutralität) und Neutralitätspolitik (Irland bezieht ideologisch klar Stellung und hatte aus diesem Grund auch beispielsweise militärische Schutzwesten an die Ukraine geliefert) umsetzen kann. Den Nachmittag verbrachten wir mit Botschafter Emil Brix und einer Diskussion zur österreichischen Neutralitätspolitik. Herr Brix veranschaulichte uns, wie die österreichische Neutralitätspolitik – entstanden als Resultat des Kalten Krieges – mit zunehmender europäischer Integration vernachlässigt wurde, bis zu dem Punkt, dass sie heute nur noch theoretisch existiert. Trotzdem kann die Neutralität nicht einfach so abgeschafft werden, da diese innerhalb der Bevölkerung nach wie vor ein wesentliches Identitätsmerkmal verkörpert.
Abgerundet wurde das Seminar von einer zweitägigen Verhandlungs-Simulation unter der Leitung von Sören Wehrheim – Geförderter der Deutschen Studienstiftung. Wir Teilnehmerinnen und Teilnehmer vertraten dabei, zusammengeschlossen in Fraktionen, jeweils ein Land der Europäischen Union. In der Simulation ging es darum, die Position der Europäischen Union in der USA-China Rivalität zu debattieren und einen Entwurf diesbezüglich zu verabschieden.
Nach einer abschliessenden Stadtführung in Wien ging das Seminar nach einer intensiven, spannenden und bereichernden Woche zu Ende. Es bleiben viele neue Learnings, neue Kontakte und ganz einfach ganz viele positive Erinnerungen.
Anmerkung: Den Erfahrungsbericht von Michael Weilch, Geförderter der Österreichischen Studienstifung, kann man hier nachlesen.