Die Erforschung des menschlichen Geistes hat in jüngster Zeit einen regelrechten Boom und eine Renaissance erlebt. Dabei wird der Geist aus unterschiedlichen Perspektiven und oft interdisziplinär untersucht. Diese Disziplinen umfassen beispielsweise die Philosophie, Psychologie, Linguistik, Computerwissenschaften, Anthropologie und Neurowissenschaften, welche in dem relativ jungen akademischen Feld der Kognitionswissenschaften vereinigt werden.
Mögliche Fragen, die sich bei der Untersuchung des Geistes stellen können, umfassen unter anderem die folgenden: Ist der Geist etwas anderes als die neurobiologischen Prozesse, die sich im Gehirn abspielen? Ist der Geist abhängig oder unabhängig von materieller Substanz? Wie ist deren Beziehung? Gibt es gewisse angeborene geistige Fähigkeiten? Oder gibt es solche nicht und diese werden durch Erfahrung angeeignet? Stichworte, Themenfelder und Gegenüberstellungen, die mit diesen Fragen einhergehen, sind z.B. das Leib-Seele-Problem, Dualismus und Monismus, Behaviorismus und Kognitivismus, sowie Rationalismus und Empirismus. Diesen Fragen soll sich – ausgehend von einer philosophischen Perspektive – interdisziplinär und mit einem Seitenblick insbesondere auf die Linguistik sowie auf die Ethik angenähert werden.
In den letzten 70 Jahren hat sich in der Erforschung des menschlichen Geistes einiges bewegt. Begriffe wie «cognitive revolution» oder «cognitive turn» unterstreichen diese rasanten Weiterentwicklungen im Bereich des neu entstandenen interdisziplinären Felds der Kognitionswissenschaften. Trotzdem bleibt der menschliche Geist ein grosses Mysterium: Die Menge des Wissens über die Funktionsweisen des Geistes hält sich in bescheidenen und überschaubaren Grenzen, eine erschöpfende Erklärung (auch nur schon der Funktionsweise des Gehirns) scheint weit entfernt zu liegen.
Gleichzeitig gab es hingegen zahlreiche erfolgreiche Ansätze, einzelne Aspekte des Geistes überzeugend zu konzeptualisieren. Ein vielversprechender Ansatz dürfte im Bereich der Linguistik liegen, wo das Konzept einer «universal grammar» und die Annahme von angeborenen grammatischen Prinzipien vorgeschlagen wurde. Damit rückt die Innatismus-These in den Vordergrund und die alten philosophischen Spannungen zwischen Rationalismus und Empirismus leben erneut auf, u.a. auch verkörpert in dem psychologischen Streit zwischen Behaviorismus und Kognitivismus.
Auch in der Ethik blieben diese Entwicklungen in den Kognitionswissenschaften nicht unberücksichtigt: So wurde beispielsweise eine «universal moral grammar» vorgeschlagen. Es wird demnach versucht, gewisse angeborene moralische Prinzipien zu identifizieren. Die Innatismus-These könnte das Potential haben, der Moralphilosophie ein neues Fundament zu verleihen.
Die Kognitionswissenschaften vereinigen verschiedene Disziplinen (wie bspw. Philosophie, Psychologie, Linguistik und Naturwissenschaften) in einem weiten Untersuchungsfeld und die Ergebnisse haben weitreichende Auswirkungen. Diesen Perspektiven soll sich interdisziplinär angenähert werden.
Bibliographie:
Die nachfolgende Literaturliste ist als erster Vorschlag zu verstehen, was im Rahmen der Lesegruppe zu diesem Thema gelesen werden könnte. Die Liste ist jedoch weder erschöpfend oder als abschliessend gedacht, noch werden alle diese Texte auch tatsächlich gelesen werden können. Weiter ist die Liste stark selektiv, weshalb Ergänzungen und weitere Anregungen äusserst erwünscht sind. So soll in einer ersten Sitzung besprochen werden, ob es noch weitere Texte von Interesse gäbe und welche Texte (und/oder welche Teile davon) gelesen und besprochen werden sollen.
Erster Vorschlag an Literatur:
Bertrand Russell, The Analysis of Mind, London / New York 1921.
Bertrand Russell, On Denoting, in: Mind, New Series, Vol. 14, No. 56 (Oct., 1905), pp. 479-493.
Thomas Nagel, What Is It Like to Be a Bat?, in: The Philosophical Review, Vol. 83, No. 4 (Oct., 1974), pp. 435-450.
Thomas Nagel, The View from Nowhere, New York 1986.
David Chalmers, The Conscious Mind: In Search of a Fundamental Theory, New York 1996.
David Chalmers, Facing Up to the Problem of Consciousness, in: Journal of Consciousness Studies, Volume 2, Number 3 (Mar., 1995), pp. 200-219.
Noam Chomsky, Review of “Verbal behavior” by B. F. Skinner, in: Language, Vol. 35, No. 1 (Jan. – Mar., 1959), pp. 26-58.
Noam Chomsky, Language and Mind, New York 1968.
Noam Chomsky, Cartesian Linguistics: A Chapter in the History of Rationalist Thought, New York 1966.
Noam Chomsky, Language and Thought, Wakefield 1993. (YouTube Video) (illustrative introduction: Language and Thought)
Steven Pinker, The Language Instinct: How the Mind Creates Language, New York 1994.
Steven Pinker, The blank slate: The modern denial of human nature, London 2002.
John Mikhail, Universal moral grammar: theory, evidence and the future, in: Trends in Cognitive Sciences, Volume 11, Issue 4 (Apr., 2007), pp. 143-152.
Matthias Mahlmann, Mind and Rights, Cambridge 2023.
Ort: Luzern und/oder Zürich
Zeitplan: 4 – 5 Sitzungen à ca. 60 Minuten, während dem FS 2024
Arbeitssprache(n): Hauptsächlich Englisch als Textsprache, Englisch und/oder Deutsch als Besprechungssprache, je nach Zusammensetzung der Teilnehmenden
Leitung: Yquem Zberg
Organisation: Stefano Aloise
Administration: Michelle Hug
Anzahl TN: Nicht fest, nach Anzahl der Anmeldungen
Zielpublikum: Studierende aller Studienrichtungen (möglichst breite Interdisziplinarität erwünscht)
Vorbereitungsarbeiten / Unterlagen: Siehe Bibliographie und Hinweise des Leiters und/oder der Leiterin nach der Bestätigung der Teilnahme.
Weitere Informationen/ besondere Angaben: keine